Die Wismut

Weil die Bagatellisierung des strahlenden Erbes andernorts noch immer unverändert eine deutliche Überbewertung des technisch scheinbar beherrschbaren Betriebes atomarer Kraftwerks-Zeitbomben ermöglicht, muß die Aufarbeitung des Kapitels WISMUT bei den Ronneburger Abfallpyramiden und den Schneeberger Lungenkrankheiten beginnen und damit die Betrachtung atomarer Prozesse auf ihren ursächlichen Beginn lenken.

Im Herbst 1945 begannen sowjetische Geologen, unmittelbar reagierend auf die Atombombenabwürfe der USA in Hiroshima und Nagasaki, intensiv historische Archivunterlagen des sächsischen Erzbergbaus auszuwerten. Forciert durch den Rückstand im beginnenden atomaren Rüstungswettlauf begann unter Leitung der Sowjetarmee bereits ein Jahr später die Förderung von Uranerz aus Stollen und Schächten ausgesprochen brutal und hektisch. Hierzu hatte man tausende Bergleute aus den Braunkohlengebieten, aus den Kaligruben des Südharzes, aber auch verbliebene Kumpel aus dem erzgebirgischen Silberbergbau sowie dem Steinkohlenbergbau bei Zwickau bzw. aus schlesischen Revieren angeworben. Darüber hinaus wurden auch Arbeitskräfte zwangsverpflichtet, Ländereien enteignet.

wismut

Karte der Wismut

Um Reparationsansprüche abzudecken, wurde das Bergwerksunternehmen in sowjetisches Eigentum überführt. Die Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG) Wismut entstand unter dem damaligen Leiter des NKWD, Berija. Sie war knapp zehn Jahre bedingungslos auf Produktion ausgerichtet . Erst 1954 wurde die DDR per Abkommen als Anteilseigner mit 50% in die Aktiengesellschaft aufgenommen. Das Unternehmen hieß fortan Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut. Das größte militärisch kontrollierte europäische Nachkriegsunternehmen bildete sich heraus. Der Name Wismut diente lediglich zur Tarnung – Wismut ist ein Metall, das früher in der Gegend abgebaut wurde und zu Legierungszwecken benutzt wurde.So entstand nach den USA und Kanada der seinerzeit drittgrößte Uranerzabbaubetrieb der Welt. In der Anfangszeit wurden zeitweise mehr als eine halbe Million Menschen beschäftigt. Diese Zahl verringerte sich in den 70/80er Jahren auf 45 000 und betrug 1997 nur noch etwa 1000 Beschäftigte.

An verschiedenen Standorten, verteilt über ein Gebiet von 40 Quadratkilometern zwischen Ostthüringen und Westsachsen, wurde abgebaut, verarbeitet und aufbereitet. Zu den bedeutensten zählen die Abbaugebiete Johanngeorgenstadt, wo Altschächte des historischen Erzbergbaus genutzt wurden, der Betrieb allerdings bereits Anfang der 50er Jahre wieder eingestellt wurde. Schlema war der eigentlich erste Standort (1946-1990), weitere Standorte im Auer Revier kamen hinzu. Außerdem Gruben im benachbarten Scheeberger Gebiet. Im Dresdner Umland Königstein und Freital, drei Bergbaubetriebe im Gebiet Ronneburg, der Tagebau in Lichtenberg, außerdem die Gruben in Renst, Beitdorf, Schmirchau, Beerwalde, Drosen.
Bedeutende Uranaufbereitungsbetriebe befanden sich in Seelingstädt (bei Gera), ein weiterer in Königstein sowie in Crossen (bei Zwickau).

Das Uranerz wurde mit Ausnahme von Lichtenberg aus Schächten gewonnen. Nach der Förderung wurde das Gestein aufgemahlen und meist im weiteren Verlauf auf speziellen Halden mit Schwefelsäure ausgelaugt. In Königstein wurden ab 1984 die Erzgänge abgeteufter Schächte mit Schwefelsäure ausgelaugt, anschließend das dabei entstandene Laugengemisch aus der Tiefe hinaufgepumpt und gefiltert. (Ein gleiches Aufschlußverfahren findet sich gegenwärtig in weit größerem Ausmaß in den Uranminen von Jabiluka/Australien.) Die Aufarbeitung zu Uranoxid erfolgte in der Anlage Seelingstädt.
Im Laufe der Jahre sind so mehr als 220.000 Tonnen Uranerz-Konzentrat erzeugt worden – Grundstoff für mehr als 500 Atombombentests, außerdem bedeutsam für den Betrieb sowjetischer AKW.
Das zwischenstaatliche Abkommen der SDAG Wismut wäre im Jahr 2000 ausgelaufen – die Wiedervereinigung kam dazwischen. Sie beendete 1990 den mehr als vierzig Jahre währenden Uranbergbau in Ostdeutschland.

Kontanimierung und Sanierung

Der Bergbaubereich wurde in eine GmbH umgewandelt, die die Aufgabe hat, die verbliebenen Anlagen stillzulegen und die Region über und unter Tage zu sanieren, inclusive der bei der Förderung entstandenen geschätzten 500 Millionen Tonnen radioaktiven Abraums. 1500 km² Bodenflächen standen im Verdacht der Verstrahlung, galten als radioaktiv verseucht und durch Schwermetalle vergiftet. Ursprünglich war für die Sanierung bis zum Jahre 2005 eine Summe von 13 Mrd. Mark eingeplant. Schon die Höhe der veranschlagten Summe läßt ahnen, daß es sich hier um mehr als nur die üblichen Altlasten handelt, nämlich um eine ökologische Katastrophe ungewissen Ausmaßes.

Dieses Sanierungsvorhaben war der weltweit erste Versuch, bei überaus dichter Besiedlung derart offen gelagerte Strahlenquellen und Kontaminationszonen zu entsorgen. Die bereits Erkrankten haben derweil Mühe, die Herkunft ihrer Krankheiten nachzuweisen. Rund elf Prozent der seit 1992 untersuchten 10.000 Wismut-Bergarbeiter haben Krebs. Mit jährlich mindestens 300 weiteren Krebsfällen wird gerechnet. Anspruch auf Entschädigung hat nur der, dessen Leiden als Berufskrankheit anerkannt wird. Bis dato sind das 6500, eine Dunkelziffer gibt weitere 7000 Fälle an. Fürs Anerkennungsverfahren spielen Arbeitsdauer und Ort eine Rolle und natürlich auch die Art der Erkrankung. Nur Lungen- und Bronchialkarzinome haben eine Chance, anderen Krebsarten, wie etwa Leukämie, unterstellt man betriebsfremde Ursachen.

Eine dominierende Rolle kommt dabei dem Edelgas Radon 222 zu. Es ist so geruchlos, farblos und geschmacklos wie die Radioaktivität selbst. Dieses strahlende Uranzerfallsprodukt dringt aus den Halden und Schächten noch durch kleinste Löcher und Poren von Häusern und setzt sich aufgrund seiner höheren Dichte gegenüber der Außenluft nach unten ab. Hohe Radon-Konzentrationen traten und treten nicht nur in den Bergwerken auf, sondern durch die Belüftung der Gruben auch in vielen Wohnhäusern. So wurden z.B. 1997 durch das Strahlentelex Berlin in einem Schneeberger Wohnhaus 30.000 Becquerel gemessen – die etwa 600-fach erhöhte Strahlendosis gegenüber dem Normalwert.

Luft, Wasser und die Erzeugnisse der Landwirtschaft wurden kontaminiert, noch viel mehr natürlich die Lungen der Bergarbeiter. Aber Art und Höhe des Risikos unterlagen der Geheimhaltung, nicht einmal ein Risiko selbst wurde den Bürgern veröffentlicht. Im Gegenteil, man führte sogar kontaminierte Erzabfälle, als sogenanntes Abprodukt und volkswirtschaftliche Reserve, wieder in den Rohstoffkreislauf ein und verarbeitete das Material im Straßen- und Wohnungsbau. Früher betrieben die Bauern auf den Abraumhalden teilweise gar arglos Landwirtschaft und Viehhaltung.

Insgesamt mußten 60 Anlagen geschlossen werden. 1.400 Kilometer Stollen gesäubert, verfüllt und am Ende geflutet werden. 48 Halden mußten abgetragen oder auch abgedichtet, versiegelt und begrünt werden, um die ständige Staubbelastung zu verhindern. 14 radioaktive und mit giftigen Schwermetallen kontaminierte Schlamm-Absatzdeponien mußten entwässert, ausgebaggert, versiegelt werden. Diese teilweise bis zu 650.000 Quadratmeter großen, wasserbedeckten Flächen reichen bis zu 70 Meter in die Tiefe. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt dauern die Arbeiten an, obwohl bereits mehr als drei Viertel der Anlagen einer Sanierung unterzogen wurden.

Was bleibt von der Wismut?

Es bleibt die Hoffnung, das Kapitel WISMUT mahnend als einen in sich abgeschlossenen Uranabbau stärker in der öffentlichen Wahrnehmung rücken zu können, als ein ‚kleines‘ exemplarisches Beispiel einer gigantischen Umweltzerstörung.

Auf unabsehbare Zeit bleibt das Gebiet zwischen Gera und Königstein eines der wohl größten Atommülldeponien der Welt, und das „unter freiem Himmel“. Außerdem stellte der erfolgte Abbau eine systematische, unverfrorene Gefährdung von Menschenleben dar, beginnend mit den ersten Abbaustandorten.

Eine Option, die den heutzutage ausgelagerten Abbau mit allen zerstörerischen Praktiken und Konsequenzen gerade auch in Deutschland in die Öffentlichkeit rücken sollte, abseits vom bereits medial vertrauten „Castor-Symbol“. Als Ausgangspunkt des alltäglichen, nuklearen Wahnsinns.

Doch die atomare Spirale dreht sich weiter. Denn die Ausbeutung von Uranlagerstätten in Australien, Kanada, USA und Afrika [wenn möglich, bitte präzisieren!] schreitet weiter voran [Verweis auf Artikel im Reader!!..]und sichert so täglich den Weiterbetrieb unzähliger AKW weltweit.

Weiterführende Informationen zum Thema

Konrad Wolf: „Die Sonnensucher“, DEFA-Spielfilm, DDR, 1951
Michael Beleites: „Altlast Wismut“, Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt/Main, 176 Seiten

Wismut – der sozialpolitische Hintergrund

Die Wismut, das war eine ganz eigene Welt, ein oft bezeichneter ‚Staat im Staate‘ mit eigenen Regeln, der nicht der Kontrolle der staatlichen Plankomission unterstellt war. Dazu gehörten nicht nur die Gruben und weiterverarbeitenden Betriebe, sondern dazu gehörte eine Reihe von Einrichtungen, zum Beispiel der ,Wismut- Handel`, hatte, genau wie die HO, seine eigenen Kaufhallen. Außerdem wismuteigene Wohnungen und ganze Wohnkomplexe, ein eigenes Gesundheitswesen auf sehr hohem Niveau, Krankenhäuser, Polikliniken, Sanatorien, Erholungsheime, den Feriendienst. Es gab eine wismuteigene Sozialversicherung, Feierabendheim, eigene Wismut- Berufsausbildung, usw.

Hintergrund zur Sanierung

Nach Angaben des Öko-Instituts Darmstadt von 1993 sind drei Dinge bei der Sanierung besonders wichtig: die langfristige technische Stabilität der Bauwerke, das Problem der Auslaugung von Radionukliden in Boden und Luft und die Schwermetalle im Uranerz. (Auslaugung und Schwermetalle werden in den bisherigen Sanierungsentwürfen als „langfristig unterbelichtet“ betrachtet. Radionuklide, die sich nach unten in den Boden lösen, würden ignoriert, die Maßnahmen seien auf kurze Zeiträume gerichtet, wo doch für 2.000 Jahre, anstatt wie bei Sondermüll für lediglich ein Jahrhundert, vorgesorgt werden müsse. Weiterhin ist man der Ansicht, das die angestrebte Sanierungsart eine eher kurzfristige Sichtweise des Problems zeigt. Statt dessen sind Bodenuntersuchungen auf Dichtigkeit an jedem Standort notwendig.

Quelle: Lutz Pinkert