Indisches Atomklo in Stammesgebieten

Jadugora, erste und wichtigste Uranmine Indiens, befindet sich im East Singhbhum District von Jharkhand (etwa 300 Kilometer westlich von Calcutta) mitten in der Heimat der Santal und Ho Adivasis (Ureinwohner). UCIL, die „Uranium Corporation of India Ltd“, untersteht dem Ministerium für Atomenergie und betreibt drei größere Uranminen in dieser Gegend: Jadugora, Batin und Narwapahar. Das Uranerz wird in etwa 500 Meter Tiefe gewonnen, dann zerkleinert, gereinigt und als uranreiches Erz nach Hyderabad gebracht, dort weiter gereinigt und zu Brennstäben verarbeitet. Bei diesem Verfahren entsteht ein großer Anteil von Abraum- und Restmaterial aus der Uran-Mine, der als Abfall behandelt wird. Das Abraum- und Restmaterial hat jedoch immer noch einen hohen radioaktiven Anteil. Dieser Abfall muß auf Dauer in großen Teichen mit ca. 15 cm Wasser bedeckt gehalten werden, damit keine Verwehungen zu den benachbarten Dörfern stattfinden und die Atmosphäre belasten.

Allein bei diesen Vorgängen zeigt sich große – wenn nicht gar kriminelle – Nachlässigkeit der verantwortlichen Betreibergesellschaft wie auch bei zuständigen Behörden: Arbeitsschutzmaßnahmen in den Minen selbst sind kaum vorhanden. Auch die vorgeschriebenen medizinischen Untersuchungen der Arbeiter (die ungelernten Hilfsarbeiter sind zum grossen Teil Ureinwohner) werden nicht korrekt durchgeführt. Die Behandlung des Abraum-/Abfallmaterials geschieht in äußerst laxer Weise: der Schlamm wird zum Teil durch undichte, nicht abgesicherte oder markierte Leitungen zu den Lagerteichen gepumpt. Zum Teil wurden die Deiche selbst aus dem strahlenden Material des Grubenabraums aufgeschüttet, um Kosten zu sparen … Überlaufendes Wasser gelangt auch in die fließenden Gewässer und hinterläßt damit eine radioaktiv verseuchte Spur bis zum Golf von Bengalen. Das verwertbare Material („Yellow Cake“) wird in alten rostigen und undichten Metallbehältern bloßhändig und barfüßig von den Arbeitern auf nicht abgesichertem Bahnhofsgelände herumbewegt. Wie außerdem bekannt wurde, werden Abfälle aus der Weiterverarbeitung dieses Uranerzes in Hyderabad und sogar Abfälle aus dem nuklear-medizinischen Anwendungsbereich aus ganz Indien nach Jadugora zur bequemen Endlagerung unter den eben genannten Verhältnissen gebracht.

Tatsache ist weiterhin, daß kaum Vorkehrungen zum Schutz der ansässigen Bevölkerung vor der radioaktiven Strahlung und deren gesundheitsschädigenden Auswirkungen getroffen werden. Die Lagerteiche sind nicht ausreichend oder gar nicht eingezäunt, stattdessen weidet das Vieh in dem flachen Sumpf und frißt das dort wachsende Gras. Kinder und auch Erwachsene waten durch dieses Wasser und nutzen es zum Teil zum Waschen. Gefährdung geht auch vom freigesetzten Radon-Gas aus, das unsichtbar in den Körper eintreten kann. Die örtliche Bevölkerung wurde gar nicht oder nur in höchst unzureichender Weise darüber informiert. Bereits aufgetretene Schädigungen wurden von den Verantwortlichen nicht in adäquater Weise medizinisch versorgt, ein Zusammenhang mit der radioaktiven Strahlung gar geleugnet und den angeblich unhygienischen Lebensverhältnissen und Trunksucht der Bevölkerung zugeschrieben …
Der Uranabbau findet in dieser Region seit mittlerweile rund 30 Jahren statt. Für viele Familien bedeuteten die (Hilfs-)Arbeiten im Umfeld des Uranabbaus auch eine gewisse Verdienstmöglichkeit, da ihre traditionellen, subsistenzorientierten Wirtschaftsformen von Feldbau und Viehhaltung infolge der Modernisierung einerseits und durch Enteignung von Land für Industrieprojekte wie z.B. den Uranabbau, aber auch infolge von Verschuldung, immer weiteren Einschränkungen unterliegen. Der Preis dafür ist – neben der Zerstörung ihrer Kultur und Wirtschaftsform – eben auch die direkten Gesundheitsschädigungen der erwachsenen Generation und nun zunehmend auch die genetischen Defekte, wie sie erst in der zweiten und folgenden Generationen auftreten. Das Leiden der Ureinwohner von Jadugora hat dramatische Ausmaße angenommen …

Die Bewohner des Landes

Die Ureinwohner Indiens (Adivasis) machen etwa acht Prozent der Gesamtbevölkerung (ca. 70 Millionen) aus und zählen zu schwächsten Gliedern der indischen Gesellschaft. Ihr Ansehen in der übrigen Gesellschaft ist überwiegend sehr schlecht, und so ist es kein Wunder, daß der Fortschritt der indischen Wirtschaft konkret auf dem Rücken der Adivasis stattfindet: Der größte Teil der Ressourcen (Holz, Wasserkraft, Bodenschätze) befindet sich in Gebieten, die bis heute vorwiegend von Adivasis bewohnt sind. Seit Beginn der Nutzung dieser Ressourcen hat es eine zufriedenstellende Entschädigung der vertriebenen Adivasi-Gemeinschaften so gut wie nicht gegeben. Die wirtschaftliche Entwicklung Indiens in den letzen Jahrzehnten hat, im Gegenteil, zur Verarmung und Entwurzelung der Adivasis geführt. Allerdings hat es auch immer Widerstand und zum Teil auch erfolgreiche Protestaktionen der Adivasis, gerade in der Region Jharkhand gegeben.

Plattgemacht !

Im Jahr 1996 sollte den zwei vorhandenen Abraumteichen ein dritter folgen. Dem stand das Dorf Chatijkocha im Wege. Bereits zehn Jahre vorher hatte UCIL in aller Stille das Land erworben, worüber allerdings die Menschen von Chatijkocha weder informiert wurden, noch wurde ihnen anderes Land zugewiesen oder eine angemessene Entschädigungssumme geboten. Am 27. Januar 1996, nach den Feierlichkeiten zum „Tag der Republik“, drang UCIL ohne Vorwarnung in das Dorf Chatijkocha ein und ließ die Häuser niederwalzen: unter Leitung des Geschäftsführenden Direktors, des Technischen Direktors, des Dienststellenleiters, zusammen mit den Einheiten der Central Reserve Police Force (CRPF), der Central Industrial Security Force (CISF), der Polizei des Bundesstaats Bihar und unter Einsatz von schweren Bulldozern und Baggern. Sie kamen vormittags um 11 Uhr, zu einer Zeit da die meisten zur Arbeit oder im Wald waren und sich nur Kranke und Kinder zu Hause befanden. Dieser Vorgang führte zu spontanen Widerstandaktionen mit Unterstützung aus den Nachbarorten.

Widerstand

Aufgrund bestehender Kontakte mit lokalen Unterstützer- und Menschenrechtsorganisationen, die bereits angefangen hatten, die vorhandenen Zustände zu dokumentieren, konnten diese Dinge sehr schnell öffentlich gemacht werden. Die daraufhin gegründete Selbstorganisation der Betroffenen, „Jharkhandis‘ Organisation Against Radiation“ (JOAR) hat nach jenem gewalttätigen Zwischenfall inzwischen in zähen und zermürbenden Verhandlungen immerhin eine kleine Entschädigung für die Bewohner von Chatijkocha erstreiten können. Die grundsätzliche Problematik bleibt jedoch weiter bestehen: ungeminderte radioaktive Strahlung ohne jegliche Schutzvorkehrungen für die Bevölkerung, unzureichende medizinische Versorgung für die bereits Geschädigten, Leugnung des Zusammenhangs und demzufolge Unwille bei den Verantwortlichen, sich einer neutralen wissenschaftlichen Untersuchung zu stellen und die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Im weiteren Fortgang dieses Falles kämpfen JOAR und die Unterstützer nun mit den Problemen der Datenerhebung und -auswertung und Schwierigkeiten, aufgeschlossene oder auch nur neutrale Experten zu finden. Der ganze Themenbereich ist zudem höchst brisant, da für die indische Regierung das nationale Prestige-Projekt der zivilen und militärischen Nutzung der Atomenergie auf dem Spiel steht. Zuverlässige Auskünfte sind deshalb von offizieller Seite nicht zu erwarten. Dennoch steht für kritische Beobachter der Szene fest, daß das Uran für die indischen Atomversuche aus Jadugora kommt, und damit die Adivasis von Jadugora auch diesen Preis mit ihrer Gesundheit und der Zerstörung ihrer Kultur bezahlen. Inzwischen haben auch überregionale indische und internationale Medien, Unterstützungsorganisationen und Menschenrechtsorganisationen den Fall aufgegriffen.

Quelle

Johannes Lapping; Sarini: sarini-jl@t-online.de